Interdisziplinäres Zentrum für Kognitive Sprachforschung
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Abstract Abuladze & Weger

Zur Erscheinung der Antonymie und Enantiosemie

Das Erleben von Gegensätzlichkeiten ermöglicht das Bewußtwerden von Eigenschaften und Zusammenhängen, die, wenn wir sie nicht gegenüberstellt hätten, „gesichtslos“ wären – ja über die man sich kaum einen Begriff bilden, über die man kaum nachdenken könnte, weil sie selbstverständlich sind und es keine Alternative zu ihrem Dasein gibt. Gerade die binäre Kontrastrelation bringt eine besondere Ordnung in die Vielfalt der Erscheinungen und macht das Bewußtsein lebendig. Denken und Sprechen in Gegenteilen scheinen weit verbreitete, Kultur übergreifende kognitive Universalien zu sein. „Oppositeness is perhaps the only sense relation to receive direct lexical recognition in everyday language. Everyone, even quite young children can answer questions like – what`s the opposite of big//long//up, etc. It is presumably, therefore, in some way cognitively primitive“ (Cruse).

Binäre Oppositionen sind eine der wichtigsten Prinzipien, die sprachliche Strukturierung regeln; und der Ausdruck dieses Prinzips in Lexik ist die Antonymie. Die in der Sprache auftretende Antonymie zeichnet sich durch eine polare Relation aus: Sie weist auf zwei Pole hin, die durch eine Bedeutungsachse miteinander verbunden sind. Polarität beruht auf wechselseitiger Bedingtheit, jeder Pol bedingt den anderen und ist zugleich von ihm bedingt. Beide Seiten lassen sich nur dann als Pole fassen, wenn sie Pole eines Ganzen, einer Einheit sind.

In vielen Sprachen gibt es aber noch eine andere Erscheinung, in der sich die Polarität in nur einem einzigen Wort vereinigt. Diese sich zu einem Wort verdichtende Gegensätzlichkeit – Gegensinn oder Enantiosemie genannt (von griechisch: enantio: ‘das Gegenteil’) – ist ein sehr interessantes Phänomen nicht nur von linguistischer Hinsicht. Auch ausserhalb der Sprache finden wir die Erscheinungen, die in gewisser Weise der Enantiosemie ähneln; z.B. empfinden viele Menschen in außerordentlich riskanten, gefährlichen Aktivitäten neben Angst auch eine besondere Lust und Freude. Und in den Beziehungen der Menschen spricht man immer wieder von „Haßliebe„ – eine besondere Art der Zuneigung, die gleichzeitig durch eine Abneigung geprägt ist. Auch in unserem äußeren Verhalten macht sich diese Enantiosemie deutlich, wenn wir etwa gerade dann weinen, wenn wir besonders glücklich sind. Und sogar unsere Wahrnehmungssinne kennen diese Art des „Gegensinns“ in Form von sog. „paradoxen Empfindungen“ – wenn wir zum Beispiel beim Eintauchen unserer Hand in heißes Wasser im ersten Moment Kälte verspüren und umgekehrt, empfindet man eine brennende Hitze wenn man ein Stück Trockeneis berührt.

In unserem Vortrag beschäftigen wir uns vor allem mit der Erscheinung der Enantiosemie und versuchen zu zeigen, daß das Zusammentreffen polarer Bedeutungen in einem Wort ein phänomenologisch begründbares und sinnvolles Geschehen ist.