Interdisziplinäres Zentrum für Kognitive Sprachforschung
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Abstract Schlipphak

Bootstrapping-Mechanismen: das Lexikon als Zentrum des Zusammenspiels sprachlicher Aufgabenbereiche – netzwerktheoretische Erklärungen zum kindlichen Erstspracherwerb

Dieser Vortrag soll darstellen, welche kognitiven Funktionsprinzipien und Lernmechanismen den Erstspracherwerb – als einen Bestandteil des kognitiven Systems – bestimmen könnten. Stellvertretend für den Erstspracherwerb wird hier das Beispiel der Nominalphrase (NP) im Deutschen untersucht. Die Sprachdaten dieser Studie lassen vermuten, dass Phänomene wie „kognitive Schemata“ und „Bootstrapping-Mechanismen“ eine exponierte Rolle im Spracherwerb spielen könnten. Für die Analyse dienen dem Projekt Daten aus dem CHILDES-Korpus sowie eine Tagebuchstudie. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen drei Kinder, die Deutsch als Muttersprache erlernen und deren sprachliche Interaktionen im Alter zwischen 1;4 und 3;1 Jahren analysiert wurden. Um die hier gefundenen Phänomene in einen sinnvollen Zusammenhang stellen zu können, möchte ich konnektionistische Argumentationen anführen. Diese gehen davon aus, dass der Ausbau des kognitiven Systems und somit auch des Spracherwerbs durch das neuronale Netzwerk im Gehirn bzw. dessen Organisation, Arbeitsweise und -kapazität charakterisiert ist. Zu Beginn ist die Verarbeitungsenergie im kindlichen Gehirn noch beschränkt; das Kind muss nach Lösungen suchen, um sich auch mit beschränkter Kapazität langsam ein komplettes „Sprachsystem“ aneignen zu können. Neuronale Verarbeitungsenergie „fließt“ dabei netz-werkartig durch das Hirn. Ich möchte in diesem Vortrag die wichtigsten beobachteten Besonderheiten der kindlichen NP-Bildungen darstellen und zeigen, warum sie auf die Netzwerktheorie verweisen: So scheinen die untersuchten Kinder Gebrauch von verschiedenen Bootstrapping-Mechanismen zu machen. Diese erleichtern offenbar den Erwerb syntaktisch-morphologischer Eigenschaften von Nomina und vereinfachen oder forcieren sogar deren Gebrauch. Damit verbunden muss das Auftreten kognitiver Schemata veranschaulicht werden, die einen Rahmen für einzelne Lexeme mit Positionierungsinformationen bei noch unzureichender Verarbeitungskapazität liefern. In den Sprachdaten aller drei Kinder zeigen sich formal ähnliche Schemata (z.B. da/s plus NP). Ein Schema kann als Resultat des Zusammenspiels sprachlicher Aufgabenbereiche (Phonologie, Morpho-Syntax u.a.) im Gehirn verstanden werden. Dabei setzt sich aus Kapazitätsgründen ein jeweils aktiver Aufgabenbereich vor einem anderen durch, der dann eine Weile im Fokus der Entwicklung stehen kann. Als Ergebnis kann sich ein Archilexem, eine feste Fügung bilden. Das kindliche Gehirn verwendet diese „gerne“, weil sie wenig Verarbeitungsenergie zur Realisierung braucht. Allerdings sind die Schemata anfangs noch nicht generalisiert, das bedeutet, das Kind realisiert im Zusammenhang z.B. keine Numeruskongruenz. Erst wenn die einzelnen Elemente des Schemas transparent für das Kind werden, wird auch die syntaktische Eigenschaft eines Nomens berücksichtigt. Eben dieses Vorgehen möchte ich in meinem Vortrag anhand von Datenbeispielen mit „Lexical Bootstrapping“-Mechanismen erklären. In diesem Sinne scheint die lexikalische Entwicklung eine Voraussetzung zu sein für die Entstehung morpho-syntaktischer Konstruktionen. Und es können auch andere Bootstrapping-Mechanismen, etwa die Prosodie betreffend, vermutet werden (vgl. Silbenanzahl versus Artikulation bei ANN 1;10: na bitsold für ein Spielzeug). Der Vortrag soll auch zeigen, dass sich bei allen Kindern eine ähnliche chronologische Abfolge von fokussierten Aufgabenbereichen abstrahieren lässt und wie diese aussehen könnte. Sie kann als roter Faden der Entwicklung verstanden werden, ist aber auch oder gerade durch rückschrittlich wirkende Phasen gekennzeichnet, in denen das Kind wieder Fehler macht, die „überwunden“ schienen (ANN 2;5: das is ein igel neben das der kopf).