Interdisziplinäres Zentrum für Kognitive Sprachforschung
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Abstract Gautier

Von fachsprachlichen Kollokationen zu konzeptuellen Strukturen: der Beitrag der Frame-Semantik zur Beschreibung fachsprachlicher Prädikate

Dass Kollokationen seit eh und je eine harte Nuss sowohl für die Lexikographie als auch für den Fremdsprachenunterricht darstellen, zeigt eine heute kaum noch überschaubare Forschungsliteratur, die sich größtenteils auf allgemeinsprachliche Phänomene konzentriert hat. Im Mittelpunkt des Interesses stehen aber hier fachsprachliche Kollokationen, die bis vor ungefähr einem Jahrzehnt ein gewisses Schattendasein in der Forschung fristeten und die heute, nicht zuletzt dank der Entwicklung kognitiver Ansätze, immer mehr die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Diesem Trend folgend zielt dieser Beitrag darauf ab, die für die Analyse solcher Einheiten immer wieder bemühte lexikalische Ebene zu verlassen, um die Beschreibung und die Erfassung jener Kombinationen im Kognitiven zu verankern. Das der Analyse zugrunde liegende Korpus besteht aus zwei vergleichbaren Teilkorpora deutscher und französischer Verfassungstexte, die mit Hilfe des von der Frame-Semantik entwickelten methodologischen Beschreibungsinstrumentariums untersucht werden. Ziel ist es, die für das Fach Verfassungsrecht relevanten (semantischen) Prädikate zu beschreiben und somit an die immer wieder diskutierte, für Fachübersetzer bzw. –redakteure wichtige Frage der kombinatorischen Restriktionen frame-semantisch heranzugehen.

Die Notwendigkeit, über das rein Lexikalische und über wortklassengebundene Beschreibungsansätze hinaus zu gehen, verdeutlicht eine zweisprachige Wörterbucheintragung wie: ein Gesetz veröffentlichen = publier une loi. Auf der einen Seite weiß jeder Verfassungsrechtler auf Grund seines Fachwissens, dass nur einige wenige Einheiten in der AGENS-Rolle vorkommen können und dass beide Verben, wenn fachsprachlich verwendet, auch mit Beschluss gebraucht werden können. Dem kann natürlich lexikographisch dadurch Rechnung getragen werden, dass eine zweite Kollokation, etwa einen Beschluss veröffentlichen = publier un décret postuliert wird. Die in der AGENS-Rolle zugelassenen Instanzen sind aber nun schwerer zu erfassen, es sei denn, der Lexikograph listet einfach alle möglichen Lexeme auf, die hier vorkommen können. Auf der anderen Seite ist es in beiden Sprachen nicht selten, dass dieselbe Kombination nominal realisiert wird, etwa die Veröffentlichung des Gesetzes, das veröffentlichte Gesetz / la publication de la loi, la loi publiée, wobei die Nicht-Erwähnung des AGENS natürlich nicht bedeutet, dass es keines gibt. Über das Problem der lexikographischen Erfassung dieser NPs hinaus stellt sich hier wiederum die Frage, auf welcher Ebene die vorhandenen Restriktionen zu verorten sind.

Von diesen Feststellungen und den damit verbundenen Fragestellungen ausgehend wird im Beitrag der Standpunkt vertreten, dass solche Fachkollokationen eigentlich als sprachliches Erscheinungsbild kognitiver Schemata aufgefasst werden können, deren genaue Analyse die konzeptuelle Struktur des Faches und das implizite Fachwissen des Experten (über die teilnehmenden Instanzen, die fachspezifischen und –konstitutiven Handlungen, Vorgänge, Zustände, usw.) zu Tage fördern kann. Mit dem Verfassungsrecht wird die Hypothese an einem ziemlich engen und klar gegliederten Fach geprüft, was die Ergebnisse von in die gleiche Richtung gehenden Arbeiten [z.B. den Forschungen von M.-C. L’Homme (zur EDV-Technik) oder U. Heid (zur Börsensprache)] ergänzen kann. Da die lexikographische Darstellung solcher Schemata deren genaue und vollständige Erfassung voraussetzt, wird dieser anwendungsorientierte Aspekt hier zu Gunsten der theoretischen Fundierung des Unternehmens ausgeklammert.